Sven-André Dreyer
Bar jeder Lust
Bar jeder Lust streife ich mit aufgestelltem Mantelkragen durch die nächtliche Innenstadt. Blätterlos schmiegen sich die Bäume an die nassen Bordsteinkanten und warten auf das Frühjahr.
Genau wie ich.
Sehnsüchtig schaue ich ihnen beim Frieren zu und eine Sehnsucht stampft wütend durch meine Brust.
Kalt und rätselhaft streicht Dezemberwind um die verlassenen Gebäude der Stadt und der sternenlose Winterhimmel zerdrückt sanft und gleichgültig die späten Nachtpassanten auf ihrem Weg nach Hause. Ich will noch nicht heim, denn mein Heim ist kein Heim; dort wartet das Nichts und nichts als eine alles verschlingende Dunkelheit auf mich. Schwarzer Kaffee soll der Freund meiner Nacht werden, oder ein Cocktail meine Freundin, nur um nicht allein zu sein in dieser kalten sternenlosen Nacht.
Eine Ampel zeigt Rot, als auf der anderen Straßenseite warmes Licht aus Kellerfenstern auf den Bürgersteig brandet. Interessiert folge ich dem Lichtschein, höre die Klänge eines Pianos und steige sieben Stufen an einem rostigen Treppengeländer eine verwitterte Häuserfront hinab. Eine blätternde Holztür mit kleinen blinden Glasfenstern warnt mich eine Sekunde vor dem Betreten der Bar, ich ignoriere jedoch und trete entschlossen ein. Warme Luft und der Geruch von verbranntem Tabak und edlem Alkohol umspült mich, als ich in diffusem Licht nach einem Sitzplatz suche. Vier kleine leere Marmortische bieten Platz und auf der rechten Seite des kleinen Raums spielt eine Bar verstecken. Hinter der Bar deuten diverse Flaschen bunten Inhalts auf einen aufgeschlossenen Barkeeper. Gleich daneben probiert ein zermürbter Pianist den Aufstand und serviert dem nicht vorhandenen Publikum ein unheimliches, melancholisches Mahl aus Musik.
Ich wähle einen Tisch entfernt von allen Einrichtungen des Raumes und sitze somit allein unter einem großen, mit dunklem Holz gerahmten Spiegel, als im hinteren Teil der Bar aus einem Nebenraum, verborgen hinter einer schmalen Tür, eine Frau den Raum betritt. Schnellen Schrittes und unantastbar, schwarz gekleidet und unscheinbar elegant markiert sie ihr Revier und positioniert sich hinter der dunklen Bar – aus dem Barkeeper wird eine Barkeeperin und beschämt ertappe ich mich bei pauschalem Denken. Herausfordernd blickt sie mich an und ihr Kopfnicken gibt mir die Anweisung zu bestellen. Ein Räuspern ist notwendig um einen Kaffee zu bestellen. Ein gelangweilter Blick der Barkeeperin an die Zimmerdecke gibt mir zu verstehen dass meine Bestellung fantasielos sei. Während sie den Kaffee brüht und sich träge ein weiterer Geruch in dem kleinen Raum verbreitet, entzündet der Pianist eine Zigarette. Traurig wird auch diese nach zwei, drei Lungenzügen im Aschenbecher vergehen.
Mit fester dunkler Stimme stellt die Frau den Kaffee auf meinen Tisch: »Dein Kaffee«, sagt sie leise und streng. Ich rieche ihr Parfüm und ahne den darunter spielenden Duft ihrer Haut. Ich stehe schon in Flammen als der Pianist gelangweilt auf die Toilette schlendert. Ich werde nervös. Fest nehme ich mir vor zu zahlen und zu gehen, ich wollte Kaffee und keinen unlöschbaren Flächenbrand in meinem Körper.
Die Barkeeperin bleibt ungerührt neben meinem Tisch stehen, dunkle Augen sperren mich nun ein, halten mich gefangen und dulden keine Widerrede. Ihre Augen nehmen mich als Geisel.
Ihr Geruch ist nun überall, ich kann ihn spüren wie eine zarte Hand auf meiner Haut. Ich entspanne, ich verkrampfe, ich keuche nun, ersticke bald, winde mich und drehe sie, atme frei, ihre dunkle Stimme durchbricht fordernd den Geruch aus nackter Haut und Lust, aus Händen und Erlösung. Der Spiegel über uns. Ich verhungere, sie atmet schwer an einem gedeckten Tisch, ich sterbe, ich überlebe und strauchele durch die Versuchung. Ihre dunkle Stimme gibt Anweisungen, denen ich gehorche, mich unterwerfe, sie ist das Öl in meinem Gefieder, bis ich mich verweigere, fliege, auf und davon. Uferlos. Ausufernd. Es ist ein Spiel für Erwachsene, einer wird der Stärkere sein – und gleich darauf der andere. Sieger wird es nicht geben. Und keine Gefangenen. Es ist ein Ringen, ein Schwitzen, ist ein Winden und Bitten, ein Geben und Nehmen, ein Rasen – rasend verweigern Herzklappen schließlich ihren Dienst und bitten nun klagend um Vergebung. Ich halte ihr stand, auch sie gibt nicht auf und wir spielen das Spiel erneut, rauschen umher wie Blätter im Dezemberwind, gleiten gemeinsam durch die Nacht wie Fische in einem Schwarm, wie große unheilvolle Wagnisse im fraglichen Meer, wie dicht gedrängt und gleichsam frei. Wir fordern und vergehen. Kläglich.
Und glücklich. Und uneingeschränkt wunschlos. Nachdenklich. Und schließlich unendlich frei.
Ob ich zahlen wolle, fragt sie gelangweilt, Stunden später und Kaugummi kauend. Ihr dunkler Lippenstift ist ein wenig verwischt. Sie werde bald schließen, sagt sie müde. Ein Räuspern ist notwendig, um ja zu sagen. »Natürlich«, sage ich mechanisch, und es graut der nächste Morgen majestätisch in der Ferne und blätterlos schmiegen sich die Bäume an die nassen Bordsteinkanten und warten auf das Frühjahr.
Genau wie ich.
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