Michaela Hindemitt
Begegnung
Chiara fror. Kalt war das Bett, und das Laken umfasste ihren Körper mit eisigem Griff. Etwas Licht fiel durch die Ritzen der geschlossenen Fensterläden und zeichnete wie mit spitzem Stift Linien in das Dunkel. Während sie sich schlaftrunken aufsetzte, hörte sie ihren Mann neben sich atmen, gleichmäßig und ruhig. Schlagartig wurde sie hellwach, stand lautlos auf, nur ihre nackten Füße klebten an den Bodenfliesen und gaben unterdrückt ein schnalzendes Geräusch von sich. Chiara musste dabei an einen Frosch denken. Sie schlich in die Küche, um aus dem Fenster zu schauen.
Am Tage liebte sie diesen Blick ins Tal, wenn er sich in unendlich vielen Ebenen in der Ferne verlor. Jetzt war die Scheibe ein dunkel-samtiger Durchblick ins Nichts. Davor zeigte sich durchscheinend das Bild einer fast nackten Frau. Sie betrachtete es einen Moment aufmerksam, spürte mit den Augen sanft den Rundungen der Brüste und des Bauches nach, die sich unter der Transparenz des Nachtkleides abzeichneten. Schließlich trat sie näher an das Fenster heran, schmiegte ihr Gesicht an das glatte, kühle Glas und blickte tiefer in die Nacht hinaus, in diese andere Welt. Ein bleicher, praller Mond erschien plötzlich am Rand des Rahmens, und einige Sterne funkelten frostig.
Etwas da draußen zog sie an und lockte sie, auch wenn kein Laut zu hören, kein Zeichen zu sehen war. Chiara fühlte, wie sich unsichtbar ein Faden um sie wand und sie aus dem Raum zog, aus der Wohnung, die Treppe hinunter und zur Haustür hinaus. Willenlos, marionettengleich, Verstand und Gedanken ausge- schaltet, als ob jemand sie führte.
So ging sie zögernd die Eingangsstufen hinab und spürte jetzt nasses Gras und Erde unter den Füßen. Eine kribbelnde Feuchtigkeit kroch von unten herauf und ließ sie bis in die Brustspitzen erschauern. Das Unbekannte entführte sie immer tiefer hinein in die Nachtlichtlandschaft. Für einen Moment hob sie die Augen und versank in der Wölbung des Horizontes. Stille lag über den unsichtbaren Hügeln, die Luft vibrierte, in der Ferne surrte ein verirrter Motor. Die Nacht duftete schwer.
Plötzlich stand vor ihr, schwarz gegen das silbrige Nachtblau gelehnt, ein Torso. Ein uralter Zauberer, ein männliches Totem nahm sie gefangen. Ihre Fingerspitzen näherten sich der Gestalt. Sie zitterte, als sie sie berührte, sie behutsam ertastete, den ganzen Körperstamm, ihn schließlich mit beiden Händen erfasste, erst zärtlich, dann heftiger zupackte. Die machtvolle Kraft von Jahrhunderten ergriff sie bis tief unter die Haut. Ihre Lippen öffneten sich und webten weiche Spuren in die raue Rinde, bis sie nicht anders konnte und endlich sehnsüchtig ihren Körper ganz gegen den Stamm presste, fest wie an einen Geliebten. Dabei schloss sie die Augen, fühlte, wie sich in Brust und Bauch und weiter hinunter bis zwischen die Schenkel ein mächtiges Band wohliger Spannung breitmachte, sie zu zerreißen drohte, sich ausdehnte in alle Winkel ihres Leibes, hinaufschoss in den Kopf und letzte verirrte Gedanken endgültig auslöschte.
Im selben Moment spürte sie, wie sich aus dem Baum etwas löste, wie ein Hauch glitt es ihr gespenstisch über den Rücken und lehnte sich von hinten gegen sie.
Sie erkannte den herben Körper eines Mannes, der auf sie eindrängte. Ihre Beine öffneten sich, es schien ihr, als müsse sie fallen, doch etwas hielt sie, schob sich hart in den Zwischenraum ihrer Schenkel. Sie spürte nicht mehr Rinde, sondern Haut an ihrer Haut, sodass sie aufstöhnte. Jede ihrer Poren suchte ihr Gegenüber.
»Komm!«, raunte eine Stimme. Ihre Kehle fand keine Worte der Erwiderung, sondern nur einen gepressten Schrei. Sekundenlang stolperte ihr Herz, so als wolle es stehen bleiben, sterben, und ein Beben durchlief sie bis in die Fingerspitzen, bis in die Zehen, bis in die verborgensten Räume ihres Körpers, verebbte, erschuf sich im selben Moment neu und heftiger, raste durch ihr pfeilartig aufgespanntes weiches Fleisch, bahnte sich immer wieder einen Weg durch sie hindurch, über sie hinweg. Sie lieferte sich aus, ließ diese Gewalt zu, während sich ihr Körper weitete und anschwoll wie diese Macht selbst und mit ihr eins wurde.
Wie unter einem ersehnten Zwang gab sie endgültig auf, brach auf wie eine Knospe und atmete die würzige Kraft des Stammes und den archaisch- männlichen Geruch hinter sich. Ihre Haare rankten sich wie Gespinste in die Zweige. Sie fiel hinein in ein lebendiges Auf und Ab, das um sie herum und in ihr tobte. Sternglitzern unter der Haut trug sie hinweg. Die Spitzen ihrer Brüste dehnten sich, zerbarsten. Ihre Beine versanken. Sie bäumte sich auf in einem einzigen Schrei und verlor sich ganz.
Als Chiara die Augen öffnete, sah sie in einen verblassenden Sternenhimmel. Sie lag am Fuße des uralten Olivenbaumes im Garten. Frisch wehte die Morgenluft über sie hinweg, noch spürte sie heiße Hände auf der Haut. Sie war nackt. Ihr Kleid hing wie ein Schleier in den Zweigen des alten Baumes. Das Gras unter ihr war feucht. Chiara stand auf, schloss für einen Moment die Augen, bevor sie ihr Kleid nahm und dabei flüchtig mit den Lippen ein Blatt berührte.
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